«Es ist keine Beerdigung, nur das Ende der Welt»

Im Literturhaus Zentralschweiz lit.z hört man an den SMT unter anderem ein Requiem auf Zulu – Weltpremiere!

Die Südafrikanische Performerin, Musikerin und Künstlerin Ntando Cele hat zusammen mit dem Berner Lyriker, Musiker und Theaterautor Raphael Urweider das Requiem von Latein auf Zulu übersetzt. Heute wird es im lit.z in einer lyrischen und musikalischen Performance aufgeführt. Wie kommt man auf eine solche Idee und warum?

Von Nina Laky

Im lit.z, dem Literaturhaus Zentralschweiz, tragen Ntando Cele (Gesang), Raphael Urweider (Keyboard), Patrick Abt (Gitarre, Bass) und Balts Nill (Schlagzeug) heute zum ersten Mal das Requiem auf Zulu vor. Zulu sprechen 11 Millionen Menschen in Südafrika und ist die Muttersprache der Sängerin Ntande Cele. Das Requiem ist die Messe der Verstorbenen. Dazwischen werden Songs rund um die Themen Religion, Tod und Apocalypse gespielt, wie zum Beispiel Johnny Cashs «When A Man Comes Around» oder «Personal Jesus» von Depeche Mode. Die Texte werden auf fünf Sprachen hin und zurück übersetzt: Latein, Zulu, Englisch, Deutsch und Berndeutsch. 

Zulu-Requiem, Ihr seid nicht wirklich eine Band, auch keine Poetry-Slammer. Wie würdet Ihr das was ihr macht, beschreiben?

Patrick Abt: Es ist mehr ein Projekt als eine Band.
Raphael Urweider: Ja, genau.
Ntando Cele: Das stimmt, so hab ich es noch nie gesehen. Es ist ein Projekt.
Patrick Abt: Wir sprechen viel darüber, eine Band daraus zu machen. Oder regelmässiger zu proben. Vielleicht wird aus uns mal eine Band, kann ja sein.
Raphael Urweider: Es kommt immer drauf an, wo wir spielen. Manchmal haben wir einen anderen Drummer oder Bassisten. Manchmal machen wir Partymusik – meistens Covers, aber wir spielen auch eigene Songs – und manchmal ist es mehr eine Kombination von Songs und Literatur. Eine ruhigere Version. Wir würden gerne mehr spielen, mehr Zeit haben, aber wir haben weder Zeit noch Geld. 

Wie kam es dazu, dass ihr nun heute Abend zusammen Texte vortragt und Musik macht?

Raphael Urweider: Wir haben mit Songs und Lyrik über Alkohol gestartet und viel dabei getrunken. Zuerst waren es Ntando und ich, dann kam ein Bassspieler dazu. Dann haben wir zusammen ein Theater gemacht, an dem Patrick Gitarre spielte und ihn gefragt, ob er mitmachen möchte. Er wollte. Balts hat uns gehört und sagte, er wäre interessiert, von Zeit zu Zeit Schlagzeug zu spielen.

Wart Ihr euch von Anfang an einig, was ihr machen wollt? Euer Programm hat so viele Elemente … Gab es da Diskussionen?

Raphael Urweider: Wir diskutieren nie und kommen auch nicht gut zusammen aus (alle lachen).
Ntando Cele: Nein, also … Raphael und ich machen das Programm, bevor wir alle anderen treffen. Je nachdem für was wir spielen machen wir es passend zum Festival oder zum Thema. Dann laden wir die Musiker ein. Das funktioniert gut. 

Für den heutigen Abend habt ihr nun geplant, das Requiem auf Zulu vorzutragen.

Raphael Urweider: Sabine Graf vom lit.z hat mich gefragt, ob ich was mit Musik und Literatur machen wolle. In dieser Zeit hat Ntando an einem Theater in Zulu gearbeitet. Für die Struktur des Theaters fanden wir das Requiem interessant. Das Theater handelte um Religion und ihre Brutalität, aber auch um religiöse Menschen und die Brutalität zwischen ihnen. Wir haben geschaut, ob es das Requiem in Zulu gibt, gab es aber nicht. So schrieben wir es.
Ntandoe Cele: In einem sehr biblischen Zulu.
Raphael Urweider: Wir haben es von Latein ins Zulu übersetzt. Die meisten deutschen Übersetzungen sind Reime, das ist zwar schön aber nicht nahe am Original. Mich interessierte mehr, was es wirklich sagt. Während des Prozesses habe ich versucht, neue Deutsche Versionen zu kreieren. Die meisten bestehenden Übersetzungen sind aus dem 18. und 19. Jahrhundert: Sehr romantisch, mit grossen Worten und meistens schön gereimt. Das hat für mich aber keinen Sinn gemacht.
Ntando Cele: Wir waren auch interessiert am «Clash» zwischen den religiösen Perspektiven. Wenn wir dieselbe Show in Südafrika machen würden, wäre sie ganz anders. 

Wie anders?

Ntando Cele: Als ich das Requiem zum ersten Mal in Zulu geselen habe, habe ich realisiert, dass die Ideen von Tod, Finsternis und das Ende der Welt für mich fast schon realistische Ideen sind. Mehr als für die anderen in der Gruppe. Aber das hat mehr damit zu tun, wie man in der Schweiz mit Religion umgeht. In Südafrika ist Religion am Leben, ein Thema von Leben und Tod. Beim Lesen habe ich mich erinnert, wie ich als Kind in die Sonntagsschule ging und jemand hat über die Hölle, Tod und Dunkelheit gesprochen.

Wie habt Ihr die Übesetzungsarbeit erlebt?

Raphael Urweider: Das Requiem ist nicht in einem klassischen Latein geschrieben, es ist ein sehr christliches Latein. Vieles macht irgendwie gar keinen Sinn. Es ist sehr gross, es ist ja die Apokalypse: Der Sünder vor dem grossen Gott. Gott ist eine sehr furchteinflössende Figur, Jesus ist eher vergebend, aber es ist auch nicht sicher, ob er dir hilft oder nicht. Da ist eine Zeile «Auch die, die nicht sündigen haben Angst», niemand ist also wirklich sicher. Das finde ich interessant. Zuerst habe ich es versucht ohne Reime zu übersetzen, aber das geht nicht, es ist ein Text zum Singen und nicht zum Lesen. Da sind die Reime wichtig. Ich wollte zurückgehen auch zum Sinn der Wörter, wir haben viel über einzelne Wörter diskutiert. Da waren ganz viel biblische Wörter, die man anders übersetzen könnte. Zum Beispiel hat die Kirche im Requiem «Repräsentieren» mit «Erlösen» übersetzt.
Ntando Cele: Die Arbeit war wirklich nicht ganz einfach. Ich bin so weit weg von Afrika, das war auch ein bisschen komisch, so bewusst Zulu zu denken. Das Zulu, in das ich übersetzt habe, spricht man nicht einfach so. Das ist biblisches Zulu und eine sehr alte Sprache. Das war herrausfordernd. Ich habe viele verschiedene Kombinationen, ich konnte nicht immer genau das Wort finden, das wir suchten. Wenn Raphael das Wort aus Latein in Englisch übersetzt, da geht immer auch was verloren. Das konnten wir nicht ganz lösen.

Requiem, Tod, Apocalypse, Religion … das klingt nach einem sehr düsteren Abend heute …

Raphael Urweider: Nein, ich denke nicht, dass es düster wird. Viele Musik ist aus der Religion entstanden. Wir möchten nichts Dunkles und Trauriges machen. Es ist keine Beerdigung, nur das Ende der Welt. Niemand wird verletzt. In Österreich würde man sagen: «Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.»

Mit dem Thema seid ihr hier eigentlich genau richtig. In der Nähe des Beinhauses, des Brunnens «Das Mädchen und der Tod», der Pfarrkiche oder des Friedhofs.

Raphael Urweider: Ja, das stimmt. Ich arbeitete einmal mit dem Jodlerchor Wiesenberg zusammen, ein Projekt über Todesrituale. Da war ich in der Kirche zur täglichen Messe und im Beinhaus. Fantastisch! Das war vielleicht auch ein bisschen der Grund, wieso wir das Requiem mit Stans verbunden haben.

Die Leute im Publikum hören heute also eine Premiere, werdet ihr es nochmals so aufführen?

Raphael Urweider: Mir gefällt die Idee des Projekts sehr. Auch dass wir das heute das erste Mal vor Publikum ausprobieren. Ich bin sicher, wir können noch mehr damit machen.
Ntando Cele: Das Schöne an unseren Projekten ist, dass es immer Raum gibt, zum besser werden.
Raphael Urweider: Die Ideen kommen auch mit dem Proben vor dem Auftritt. Wir haben vor einer Show auch schon entschieden, Sachen ganz wegzulassen. Ich persönlich würde gerne weniger Covers machen und mehr unser eigener Sound finden. Patrick und Balts haben Ideen mit Loops und kleinen Elementen, die irgendwann mal Songs werden könnten. Da sind 1000 komponierte Requien, sogar ein Rock Requiem. Ich mag das Requiem, weil es eine klare Struktur hat. Dieser zu folgen oder damit zu brechen, finde ich reizvoll. Hier in Stans ist es sicher auch okay, etwas Katholisches zu machen. Das Requiem ist keine protestantische Idee.

Gibt es andere Ideen für Projekte?

Ntando Cele: Ich wollte schon immer mal mit ganz vielen Musikerinnen und Musikern arbeiten. Momentan bin ich noch ein bisschen auf Ideensuche. Vor ein paar Wochen war ich im Dachstock in Bern am Konzert von Seun Kuti und Egypt 80. Ich war hin und weg. Der Sound und die Anzahl Leute! Es gab sogar eine zweite Trompete! Eine grosse Produktion mit Tänzerinnen und Tänzern, das wäre cool. Zwei Drummer, zwei Gitarren: Ein Konzert, das drei Stunden geht.
Patrick Abt: Ich wäre gern der erste Gitarrist in dieser Band!
Ntando Cele: Vielleicht wäre es aber auch too much …
Balts Nill: Ich würde die zweite Ukulele spielen.
Raphael Urweider: Ich würde auch gerne mehr Musik und Text mixen. Ich probiere das schon lange, Text und Musik, verschiedene Stile und verschiedene Sprachen zusammenzubringen. Dieser Abend ist also schon fast genau das, was ich mir vorstelle. Wir haben fünf Sprachen auf der Bühne und vier Musikerinnen und Musiker. Gerne würde ich das Programm aber vorher auf einem Berg eine Woche lang üben.

Herzlichen Dank!

Auf www.stansermusiktage.ch gibt es jeden Tag Interviews mit Bands und Berichte über Helferinnen und Helfern. Plus: In unserer täglichen Mini-Rubrik gehen wir jeweils fünf wichtigen Stichwörtern nach. Was hört, sieht, fühlt, isst und trinkt man an den SMT? Heute:

Gefühlt: Ein Sonnenstrahl auf der Stirn. 
Getrunken: Messwein. 
Gegessen: Crêpes mit Birnen und Grand Manier. 
Gesehen: Ein Berg! Dazu ein ausländischer Gast: «Finally!»


Gesagt: Zur Knetfigur von Lipp&Leuthold folgender Dialog:
«Spinnst Du, darf man das anfassen?»
«Ja, sicher, das ist Play-Doh!»
«Jetzt hast du es kaputt gemacht!»