SMT 2020 - Der Freitag

Was wäre, wenn? Heute: Die Rolling Stans im Rückwärtslauf und der Bund der dreizehn Worte.


Bildserie von Emanuel Wallimann

Die Rolling Stans im Rückwärtslauf und der Bund der dreizehn Worte

Herzlich Willkommen, Ladies and Gentlemen an den Bildschirmen rund um den ganzen Erdball und mit diesem Gruss aus dem Getümmel nun zurück im Legendendörfchen Stans am Fusse des sagenumwobenen Bürgenstock; wir schreiben bereits den vierten Tag der SMT in ihrer kaum glaublichen fünfundzwanzigsten Version. Vom Feeling und von unserer Gier nach weltbester Musik her haben wir gerade erst mit dem Genuss begonnen; der Körper fühlt sich hingegen schon an wie nach 13 Jahren Alcatraz, doch gleichwohl wünschten wir, es würde nie enden. Die hypothetische Orgie tobt bis in die kleinste Gasse hinein, jung und alt tanzt um das goldene Halb voll der Ahnung, dass das Ganze nie zu bekommen ist. Wir schweben in einer undank-, äh, undenkbaren Zeit. Fünf Wochen schon ist es her, seit am Freitag, den 13. ein neues Leben begann, ein So-tun-als-ob zwischen Wissen, hoffen, fühlen und glauben, wobei die Spinnfäden dazwischen dicht gewebt sind, auf dass wir uns unrettbar darin verheddern. Zum Glück haben wir einen Weltenherrscher, der zur Nacht seinen amazing brillanten Einfall viral gehen liess, dass wir uns lediglich Desinfektionsmittel zu injizieren und ein wenig Licht zu verschlucken hätten, dann habe der Spuk bald ein Ende. So sei es – und das würde wohl auch in Stans verschiedene Kräfte freuen, die immer schon behaupten, dass wir alle des Teufels seien: „Anschlag auf unsere Moral“ war letzte Woche ein Anschlag betitelt, der im ganzen Dorfkern angeschlagen war.

Ausgerechnet in Stans habe ich vor vielen Jahren zum ersten Mal Rückwärtsläufer gesehen, die sich, ins Tal und gelegentlich über die Schulter bergan schauend, die Kniri hinaufkämpften. Wenn ich mich richtig entsinne, murmelten sie dabei schwer verständliche Formeln. Erst viel später – und vollends sogar erst mit genanntem Anschlag – ging mir auf, dass es sich dabei wohl um dieselben Backmaskings handen musste, um jene satanischen, nur beim Rückwärts-Abspielen vernehmbaren Verse, die man seit jeher auf den Schallplatten der Rolling Stones vermutete. Dabei weiss doch jedes Kind, dass alle Pop- und Rockdämonen von den Beatles bis Slayer sich dieser Verkündungen bedienten, nur die Stones ganz sicher nicht. Die waren doch brav und übrigens leider nie in Stans, jedenfalls nicht offiziell. Womit ich wieder bei Goethe wäre: Ein Messingschildchen „Hier weilte Jagger“ am Gasthaus Linde wäre schon eine Bereicherung … Jedenfalls ist seit gestern der erste neue Song der Buben online: „Living in a Ghost Town“, und damit können sie nun wirklich nicht unser Stans gemeint haben, denn hier tobt bekanntlich der Papst im Kettenhemd, vier Tage nun schon.

Mein Bericht beginnt auszuleiern: Gestern umfasste er über 8000 Zeichen; wer hat denn so viel Zeit? Heute werde ich wieder stärker kondensieren, damit Sie die News noch in der Mittagspause wegschlürfen können und dann auch rechtzeitig am Start sind, wenn um 20 Uhr das Spektakel beginnt. Ja, richtig, heute gibt’s keinen Schülerrock auf dem Dorfplatz mehr; die Reserven sind scheinbar erschöpft. Umso engagierter sind heute die Junggebliebenen, rückwärts angefangen mit der „Kackmusikk“ (Teufel, Teufel!), mit Roland Buchers Noise Table im unteren Beinhaus – auf dass die Fontanellen knacken, mit einem Hochleistungsseminar „From Girokonto zu pauschalbescheuert“ im DZB Raum für Spekulationen (sponsored by the Dienststelle Wirtschaftsförderung Nidwalden) und einer Massive Crew in der Zivilschutzanlage. Diabolischer kann ein Freitag also kaum enden.

Beginnen wird er, wenn alle Verwässerungen, Vergewisserungen und Vergegenwärtigungen zutreffen, die wir bis tief in den grauenden Morgen hinein über die Restetresen schoben, ziemlich harmonisch mit Afrobeat und Blues, letzterer mit der megafamosen Erika Stucky zwischen zwei Ultraguitarristas; das wird ein Fest! Zumindest im Konjunktiv eben, was den flächendeckenden Blues tief in uns nur noch verstärkt. „Nobody knows you when you’re down and out” singt Scrapper Blackwell zur Sekunde hier durchs Schreibgerät, und so ganz kann ich mich der Ahnung nicht erwehren, er verkünde damit die Zukunft von sehr vielen aus unseren schaffenden Reihen, aus den Schlickschichten im kulturellen Boden, die man einst gerne als Subkulturen bezeichnete, als handele es sich um seltene Joghurtprodukte mit linksdrehenden Milchsäuremolekülen. Denn wenn wir zwischendurch mal eben ganz unartifizell in die wirkliche Wirklichkeit blicken (bitte verzeihen Sie; das war eigentlich nicht vorgesehen), dann hat das eigentliche Verhängnis hinter den Kulissen des Spektakels gerade erst begonnen. Nur wenig wird sich für jene ändern, die auch bisher schon von den Verhältnissen profitierten; die Gesunden werden vielleicht noch gesünder werden, bei zunehmend rechtsdrehender Milchsäure. Die aktive freischaffende Kultur jedoch hat schon vor Freitag dem 13. Begonnen, sich irreversibel zu ändern. Einige von uns werden dabei vor die Hunde gehen, langsam und leise, unbemerkt und schnell vergessen. Kollaterallala … denn nobody knows you when you’re down and out.

Nun aber flugs zurück in unser pumpenvolles Brigadoon, ins Legendendorf, das für ein paar Tage aus dem nichts im Nebel erscheint, um mit den Irdischen zu feiern, um kurz darauf wieder hinter den Vorhängen des real existierenden Herumvegetierens zu verschwinden und dabei all jene Wanderer mitnimmt, die es nicht rechtzeitig haben verlassen können … Schon ist der Dorfplatz wieder gefüllt und alles schnaust und mausert, poussiert, goutiert und fabuliert, dass es eine Freude ist! So voll hat man den Dorfkern selten gesehen in den 24 vergangenen Jahren, eigentlich nicht mehr seit der Stanser Verkommnis vor 539 Jahren. Es geht hier zu wie im Februar in Ischgl; der Austausch von Körperflüssigkeiten jeglicher Couleur ist in vollem Gange. Rotz und Schnodder plätschern aus jeder Tuba, aus Posaunen und Saxophonen aufs Pflaster und gluckern als grünschimmernde Rinnsale hangabwärts zur Staatskanzlei, in der gerade eine Sondersitzung darüber berät, wieso um Himmels Willen ich diesen Bericht mit dem „Bund der 13 Worte“ überschrieb. Man wird keine Lösung dafür finden, denn dafür müsste man sich erstmal etwas Chlorapatit injizieren, aus jenem Meteoriten, der 1976 in Ischgl niederging, ein Chloranalogon aus Fluorapatit und Hydroxylapatit, das ich gleich dringend mal als neuen heissen Scheiss nach Amerika melden muss, denn es hilft – really! – gegen einfach alles. Vor allem natürlich gegen das Leben – das wir doch zumindest in unserer Vorstellung davon heute in vollen Zügen geniessen möchten, bis es morgen dann zum Äussersten kommt: Den Samstag der Stanser Musiktage dürfen Sie keinesfalls verpassen, ab mittags live in jeder Phantasie!